Schutzkonzept zur Prävention sexualisierter Gewalt in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen an der Paul-Gerhardt-Schule Dassel
Was versteht man unter „sexualisierte Gewalt“?
„Grenzverletzung: Nicht immer absichtsvoll, einmalige Verletzung der Grenzen und Intimität von Kindern, sind im pädagogischen Alltag nicht ganz zu vermeiden, können korrigiert werden.
Übergriffe: Geschehen nicht aus Versehen, sondern absichtlich, resultieren aus fachlichen oder persönlichen Defiziten, unterscheiden sich von Grenzverletzungen hinsichtlich der Intensität und/oder Häufigkeit
Strafrechtlich relevante Formen der sexuellen Gewalt: Formen der strafrechtlich zu verfolgenden Gewalt, wie etwa Exhibitionismus, sexueller Missbrauch/sexuelle Nötigung, kann mit und ohne Körperkontakt sein, Strafmündigkeit beginn ab 14 Jahren“ (vgl. Fortbildung Präventionsbeauftragte an evangelischen Schulen, Modul 1, S.34).
Vorwort
Der Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexualisierter Gewalt ist eine unserer wichtigsten Präventionsaufgaben. Sexualisierte Gewalt findet verdeckt statt. Neben allen Gewaltphänomenen erschwert die Tabuisierung von Sexualität die Aufdeckung. Gleichzeitig verstärkt sie die Gefahr von Missverständnissen und von falschen Reaktionen. Der folgende Handlungsrahmen soll dem entgegenwirken. Er soll Bewusstsein für Haltungen schaffen, die jeder Form von Missbrauch, egal ab psychisch, physisch oder sexuell ausgeprägt, den Boden entziehen. Konsequent gelebt führt das zu einem Miteinander, das von Achtsamkeit und Respekt geprägt ist. Ziel ist das Gestalten einer wertschätzenden und professionellen Beziehung zwischen Erwachsenen und Kindern bzw. Jugendlichen einerseits, aber auch die Erziehung zu achtsamem und respektvollem Umgang aller in der PGS lebenden und arbeitenden Menschen untereinander. Das Schutzkonzept unterstützt alle bei der Entwicklung dieser Haltung und sorgt dafür, dass auffällt, wo diese Haltung fehlt. Seine wesentliche Funktion ist somit die Unterstützung einer von Respekt und Achtsamkeit getragenen Schulkultur. Das Schutzkonzept dient aber auch dazu, ein Klima des Vertrauens und der Sicherheit zu stiften, in dem sexualisierte Gewalt angezeigt und bearbeitet werden kann. Weil Haltung und Sicherheit so wesentliche Faktoren für ein erfolgreiches Miteinander sind, wird das Schutzkonzept im ersten Schritt aus dem christlichen Menschenbild und aus unserem Leitbild heraus entwickelt. Es folgen Hinweise zur Risikoanalyse, die uns helfen, den Blick für sexualisierte Gewalt zu sensibilisieren. Ein Verhaltenskodex hilft uns, Sicherheit im Umgang miteinander zu entwickeln und Missverständnisse zu vermeiden. Eine genaue Beschreibung aller Möglichkeiten und Wege, Hilfe zu finden, sorgt für Klarheit in dem Fall, wo eine Grenzverletzung erfahren wird. Hierzu gehören auch die Ansprechpartner außerhalb unserer Schule, an die sich jede*r wenden kann, falls dies für erforderlich gehalten wird. Ich bin der festen Überzeugung, dass dieses Schutzkonzept Gutes bewirkt, wenn es von allen gelebt wird: In der Unterstützung von positiv gestalteten professionellen Beziehungen stärkt es den guten Geist, der die Paul-Gerhardt-Schule zu einem sicheren und lebendigen Ort des Lernens macht. Matthias Kleiner (Schulleiter)
Verknüpfung mit unserem Leitbild
In unserem Leitbild verpflichten wir uns dem christlichen Menschenbild. „Christliche Vorstellungen vom Wesen und Auftrag des Menschen betrachten wir als Grundlage unserer Arbeit. Wir orientieren uns am Evangelium von der Freundlichkeit und Menschenliebe Gottes und bemühen uns um die Umsetzung in eine Praxis gelebten Glaubens in evangelischer Tradition.“ Was heißt das konkret bezogen auf ein Schutzkonzept? „Es ist Ziel unserer Arbeit (…)
• …die Schülerinnen und Schüler in ihrer persönlichen Entwicklung zu begleiten und eine Atmosphäre des Vertrauens und gegenseitigen Respekts zu schaffen,
• …den Schülerinnen und Schülern in der Schule einen Lebens- und Lernraum zu eröffnen, in dem sie Verantwortung für sich und andere übernehmen und entwickeln können, (…)“. Diese Formulierungen aus unserem Leitbild sind nicht für ein Schutzkonzept geschrieben. Sie sind auch schon älter als die Diskussion um Schutzkonzepte gegen sexualisierte Gewalt. Sie machen deutlich, dass der Anspruch an uns selbst wesentliche Bestandteile dessen, worum es hier geht, schon beinhaltet. Warum brauchen wir dennoch ein Schutzkonzept? Die Erfahrungen mit sexualisierter Gewalt in Bildungseinrichtungen zeigt, dass ein gelebtes Leitbild zwar ein guter Kompass ist, allein die Formulierung von Zielvorstellungen aber sexualisierte Gewalt nicht verhindern. Und Täter*innen fühlen sich von Institutionen besonders angezogen, in denen institutionalisierte Schutzmechanismen fehlen. Die Risikofaktoren finden sich dabei auf drei Ebenen:
Träger- und Leitungsebene (autoritärer Führungsstil, Exklusivitätsanspruch, unzureichende fachliche Kontrolle der Mitarbeitenden, kein systematisches Beschwerdemanagement, kein Raum für gemeinsame Entwicklung pädagogischer Konzepte, kein Ablaufplan für den Umgang mit Verdachtsfällen sexualisierter Gewalt)
Mitarbeitende (fehlendes Wissen um Symptome sexualisierter Gewalt, grenzverletzendes Erziehungsverhalten, unzureichende Trennung beruflicher und privater Kontakte, sexualisierte Kommunikation bzw. fehlende Sensibilität im Umgang mit Sprache, fehlende Konfliktkultur im Kollegium, fehlende Feedbackkultur, persönliche Krisen, Kommerzielle kriminelle Interessen)
Pädagogisches Konzept (sexueller Missbrauch wird als Thema ausgeblendet, verbindliche Regeln für den ‚Umgang mit Schüler*innen fehlen, Vernachlässigung von Mitbestimmungsrechten der Schüler*innen, fehlende Beschwerdemöglichkeiten für Schüler*innen, fehlendes pädagogisches Konzept, pädagogische Orientierung an traditionellen Geschlechterrollen, geringe Beteiligung der Eltern) Dies sind nur Beispiele in Stichpunkten. Sie verdeutlichen, dass wir viele Bereiche gut abgedeckt haben, dass es aber in einzelnen Bereichen durchaus noch Potenziale zu bergen gilt. Wenn wir es gut machen, gewinnen wir durch das Schutzkonzept an Klarheit und steigern unsere Erkennbarkeit in den Bereichen, auf die es uns besonders ankommt: Mit dem individuellen Blick auf jede*n Einzelne*n dafür Sorge zu tragen, dass die uns anvertrauten Schüler*innen zu selbstbewussten und achtsamen, selbstständigen und sich der Gemeinschaft verpflichtet fühlenden Menschen heranwachsen. Matthias Kleiner (Schulleiter)
Verhaltenskodex zur Prävention von sexualisierter Gewalt an der PGS
1. Gestaltung von Nähe und Distanz
„In der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen ist ein adäquates Verhältnis von Nähe und Distanz erforderlich. Wertschätzung und Respekt sind die Basis für die angemessene professionelle Distanz, die emotionale Abhängigkeiten vermindert.“ (Nds. KM 2018: 17)
1.1. Gespräche und Unterricht mit einzelnen Schüler*innen finden ausschließlich in den dafür vorgesehenen Räumlichkeiten statt, die frei zugänglich beziehungsweise einsehbar sein müssen.
1.2. Zwischen Lehrkräften/Mitarbeitenden und Schüler*innen ist professionelle Distanz zu wahren. Bei privaten Treffen mit einem einzelnen Schüler/ einer einzelnen Schülerin ist die Schulleitung vorab zu informieren.
1.3. Spiele, Methoden, Übungen und Aktionen sind so zu gestalten, dass die Schüler*innen angstfrei daran teilnehmen können und ihre Grenzen beachtet und ernst genommen werden. Abfällige Kommentare sind zu unterlassen. Grenzüberschreitungen sind zu thematisieren.
2. Angemessenheit von Körperkontakt
„Körperliche Berührungen sollen zurückhaltend und nur im erforderlichen Umfang erfolgen. Der Wille der Schutzbefohlenen ist ausnahmslos zu respektieren.“ (Nds. KM 2018: 17)
2.1 Körperkontakt ist nur erlaubt, wenn er der Versorgung (Erste Hilfe, Trost, Schutz usw.) dient. Diese Berührungen sind anzukündigen und ein OK der/des Betroffenen ist einzuholen. Unerwünschte Berührungen und Annäherungen sind zu unterlassen.
2.2 Hilfestellungen und Sicherungen im Sportunterricht sind deutlich zu gestalten und zu erläutern. Sie dürfen nur mit Zustimmung der Schüler*innen erfolgen. Dies gilt auch für die Unterstützung durch Mitschüler*innen.
3 Sprache, Wortwahl und Kleidung
„Durch (z. B. sexualisierte) Sprache und Wortwahl können Menschen verletzt und gedemütigt werden, deswegen müssen sie dem Arbeitsauftrag, der Zielgruppe und deren Bedürfnissen entsprechen.“ (Nds. KM 2018: 17)
3.1 Schüler*innen werden mit ihrem Vornamen angesprochen. Dem Wunsch der Schüler*innen ist nachzukommen (z. B. bei diverser Geschlechtsidentität). Verniedlichungen sind zu unterlassen.
3.2 Sexualisierte Sprache, missbilligende Bemerkungen und Bloßstellungen sind zu unterlassen. Dies gilt auch unter den Schüler*innen.
3.3 Kleidung von Lehrkräften sowie Schüler*innen ist für die Situation Schule angemessen zu wählen.
4. Umgang mit und Nutzung von Medien und sozialen Netzwerken
„Die Auswahl von Filmen, Fotos, Spielen und Materialien muss sorgsam getroffen werden. Die Auswahl muss pädagogisch sinnvoll und altersadäquat erfolgen. Lehrendes und nichtlehrendes Personal muss über Administratorenrechte verfügen, sofern Kontakte in sozialen Netzwerken zu Schülerinnen oder Schülern bestehen.“ (Nds. KM 2018: 17)
4.1. Gewaltverherrlichende oder diskriminierende Inhalte dürfen nur im unterrichtlichen Kontext ausschließlich nach geltenden gesetzlichen Bestimmungen verwendet werden. Pornografische Inhalte sind grundsätzlich verboten.
4.2. Kommunikation mit Schüler*innen erfolgt ausschließlich über IServ.
4.3. Die Nutzung von sozialen Netzwerken im Kontakt mit Schüler*innen ist nur im Rahmen der gültigen Regeln und Geschäftsbedingungen des jeweiligen Mediums zulässig (zulässige Altersbeschränkung).
4.4. In sozialen Netzwerken ist zwischen Lehrkräften/Mitarbeitenden und Schüler*innen professionelle Distanz zu wahren
5. Beachtung der Intimsphäre
„Den Schutz der Intimsphäre gilt es zu achten.“ (Nds. KM 2018: 17)
5.1 Grundsätzlich ist gemeinsames Umkleiden und Duschen von Lehrkräften oder Mitarbeiter*innen mit Schüler*innen im Kontext Schule nicht erlaubt.
5.2 Schüler*innen dürfen in leicht- sowie unbekleidetem Zustand (umziehen, duschen...) weder fotografiert noch gefilmt werden.
5.3 Ausflüge mit Übernachtungen sind eine besondere Herausforderung. Begleiter*innen und Schüler*innen müssen Schlafmöglichkeiten in getrennten Räumen zur Verfügung gestellt werden. Ausnahmen sind mit der Schulleitung abzustimmen.
5.4 Der alleinige Aufenthalt in Schlaf-, Sanitär- oder vergleichbaren Räumen von Bezugspersonen mit einzelnen Schüler*innen ist nur in Ausnahmefällen gestattet. Diese sind mit der Leitung, dem Betreuerteam und dem/der Betroffenen vorher zu klären.
6 Geschenke und Vergünstigungen
„Geschenke und Bevorzugungen gehören nicht zu den gewünschten pädagogischen Maßnahmen. Geschenke, insbesondere wenn sie nur ausgewählten Kindern und Jugendlichen zuteilwerden, fördern die emotionale Abhängigkeit. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter müssen den Umgang mit Geschenken kritisch reflektieren und transparent handhaben.“ (Nds. KM 2018: 17)
7 Erzieherische Maßnahmen
„Sie müssen so gestaltet sein, dass sie die persönlichen Grenzen von Schutzbefohlenen nicht überschreiten. Es ist darauf zu achten, dass sie im direkten Bezug zum Fehlverhalten stehen, angemessen, konsequent und für die Betroffenen plausibel sind.“ (Nds. KM 2018: 17)
7.1 Erzieherische Maßnahmen dürfen keine Form von Gewalt, Nötigung, Drohung oder Freiheitsentzug enthalten, auch nicht, wenn Schüler*innen ihre Einwilligung dazu geben.
8 Maßnahmen zur Prävention
Ziel der Präventionsmaßnahmen ist es, Schüler*innen und Schulpersonal sowie Eltern für das Thema „sexuelle Grenzverletzungen in Schule“ zu sensibilisieren. Schüler*innen sollen ermutigt werden, auftretende Übergriffe zu thematisieren. Ihre Beschwerden sollen ernst genommen und geprüft werden, ohne dass ihnen dadurch Nachteile entstehen. Schulpersonal und Eltern sollen handlungssicherer werden.
8.1 Das Schutzkonzept wird gegenüber dem Kollegium (auch dem nichtlehrenden Personal sowie externen Anbietern) von den Präventionsbeauftragten regelmäßig (alle zwei Jahre) thematisiert. Bei Neueinstellungen wird das Schutzkonzept vorgestellt. Die Verpflichtungserklärung muss von allen an der Schule arbeitenden Personen unterschrieben werden.
8.2 Die Schüler*innen werden zu Beginn jedes Schuljahres über das Schutzkonzept informiert.
8.3 Die Schulleitung informiert die Elternschaft auf dem ersten Gesamtelternabend des Schuljahres über das Schutzkonzept.
8.4 Fortbildungen für Schulpersonal („vier-stündige Grundschulung Basiswissen zu sexuellem Kindesmissbrauch“ durch die Fachstelle sexualisierte Gewalt, Landeskirchenamt der evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers oder durch Multiplikator*innen.
8.5 Präventionsangebote für Klassen (im Präventionskonzept verankern)
Intervention und Handlungsempfehlungen in Fällen sexueller Übergriffe
„Sofern nicht Schweigepflichtstatbestände entgegenstehen (…), besteht für alle an der Schule Beschäftigten eine Mitteilungspflicht gegenüber der Schulleiterin oder dem Schulleiter, wenn sie Kenntnis von sexuellen Grenzverletzungen an Schülerinnen oder Schüler durch das Schulpersonal bekommen.“ (Nds. KM 2018: 6)