Auf einer Meldeplattform fordert die AfD auf zu melden, wenn Lehrer*innen über die AfD im Unterricht sprechen und dabei (angeblich) ihre politische Neutralitätspflicht verletzen.
Gemäß dem Neutralitätsgebot sind Lehrer*innen durch ihr Dienstrecht (§30 Abs. 1 des Beamtenstatusgesetzes) und den „Beutelsbacher Konsens” von 1976 verpflichtet, sich im Unterricht sachlich zu verhalten und den Schüler*innen ihre Meinung nicht zu indoktrinieren. Diese Neutralitätspflicht bedeutet aber keineswegs Gleichgültigkeit. Neutralität bedeutet „nicht einen Verzicht auf jede politische und sonstige wertgebundene Stellungnahme“ (Grant Hendrik Tonne, Niedersächsischer Kultusminister). Lehrer*innen haben einen Bildungsauftrag und sind verpflichtet, Positionen wie Rassismus und Menschenfeindlichkeit kritisch zu thematisieren.
Aktionen wie beispielsweise der Versuch, Fördergelder für das Schulnetzwerk „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ in Sachsen-Anhalt zu stoppen, zeigen, dass es der AFD nicht um Meinungsfreiheit und Neutralität geht, sondern darum, die eigene politische Agenda in der Schule umzusetzen. Wir sind deshalb der Meinung, dass es bei den Meldeportalen darum geht, Lehrer*innen zu verunsichern, die sich im Unterricht kritisch mit politischen Entwicklungen auseinandersetzen.
Wir verstehen den Aufruf zur Denunziation als Zensurversuch, den wir entschieden ablehnen. Um unseren Standpunkt zu unterstreichen, richten wir uns mit dieser Stellungnahme an die Öffentlichkeit. Folgende Punkte gelten für unseren Unterricht:
• Wir unterrichten kritisch: Eine kritische Auseinandersetzung mit Parteien und ihren Positionen ist keine Gefährdung von politischer Bildung, sondern ist, im Gegenteil, ihre Voraussetzung!
• Neutral heißt nicht wertneutral: Wir haben einen Bildungsauftrag und sollen Schüler*innen, gemäß dem niedersächsischen Schulgesetz §2, dazu befähigen „ihre Beziehungen zu anderen Menschen nach den Grundsätzen der Gerechtigkeit, der Solidarität und der Toleranz sowie der Gleichberechtigung der Geschlechter zu gestalten“.
• Wir thematisieren menschenverachtende und diskriminierende Positionen im Unterricht als solche: Wird beispielsweise der Nationalsozialismus als „Vogelschiss in der Geschichte” (Alexander Gauland) bezeichnet, dann ist dies ein Anlass, sich im Geschichtsunterricht mit Geschichtsrevisionismus auseinanderzusetzen. Die Forderung, deutsche Grenzen notfalls auch mit Waffengewalt (gegen Frauen und Kinder) zu verteidigen (Beatrix von Storch), legt eine Diskussion über nationalistische Einstellungen im Politikunterricht nahe. Werden die unterschiedlichen Geburtenraten in Afrika und Europa mit evolutionären Unterschieden begründet (Björn Höcke), so kann diese Aussage vor dem Hintergrund von überholten Rassentheorien aufgegriffen werden.
• Wir lehnen jedes von einer Partei ins Leben gerufene Meldeportal ab: Konflikte über eine von einer Partei angebotene Internetplattform auszutragen, verhindert eine offene und kontroverse Behandlung von politischen Themen im Unterricht. Lehrer*innen werden dadurch in ihrer Aufgabe, Schüler*innen zu mündigen Mitbürger*innen zu erziehen, beeinträchtigt.
Wir lassen uns nicht einschüchtern! Wir betonen nochmals: Eine kritische Auseinandersetzung mit politischen Themen und Positionen ist ein integraler Bestandteil schulischer Bildung und Grundpfeiler einer demokratischen Gesellschaft. Es gibt keine Alternative zur Thematisierung von Diskriminierungen im Unterricht.
Zudem steht für uns an der PGS Dassel eine vertrauensvolle Beziehungsarbeit zwischen Lehrkräften, Schülern und Schülerinnen und Eltern an oberster Stelle. Nur wer angstfrei lernt, kann auch erfolgreich lernen. Und nur wer angstfrei unterrichtet, kann auch erfolgreich demokratische Werte und Grundfertigkeiten vermitteln. Wenn an unserer Schule Eltern, Schülerinnen oder Schüler den Eindruck erlangen, dass die politische Meinungsfreiheit oder das Neutralitätsgebot tangiert werden, können die Lehrkräfte selbst, die Klassenlehrer*innen, die Tutor*innen der Oberstufe und/oder die Beratungslehrkräfte jederzeit angesprochen werden. Ferner besteht ebenfalls die Möglichkeit, sich vertrauensvoll an ein Mitglied der Schulleitung zu wenden.
Mit dieser Stellungnahme schließen wir uns dem Kollegium und den Eltern der IGS Garbsen sowie den vielen weiteren Kollegen und Kolleginnen und Eltern in Niedersachsen, Hamburg und in anderen Bundesländern an, die sich ebenfalls gegen das Meldeportal stellen.
Wir bitten auch andere die Vertretungen der Eltern, die Kollegien sowie die Schülerräte anderer Schulen, sich unser Stellungnahme anzuschließen.
Gezeichnet:
Das Kollegium der Paul-Gerhardt-Schule Dassel